Parteiendemokratie unter dem Blickwinkel des Einzugs der NPD in den Sächsischen Landtag
Prof. Dr. Eckhard Jesse, TU Chemnitz, Lehrstuhl für Politische Systeme, Politische Institutionen
Bei den beiden Landtagswahlen in Sachsen und in Brandenburg am 19. September erreichten die beiden großen demokratischen Volksparteien nur 50,9 Prozent bzw. 51,3 Prozent der Stimmen. Das ist ein Zeichen der Krise für die Parteiendemokratie, wenn man bedenkt, dass die Rechtsaußenparteien NPD 9,2 Prozent (in Sachen) und DVU 6,1 Prozent (in Brandenburg) und die Partei des Demokratischen Sozialismus 28,0 Prozent (Brandenburg) und 23,6 Prozent (Sachsen) erzielt hatten. Die Erfolge kamen der „Opposition zum System“, nicht der „Opposition im System“ zugute.
Mit dem politischen Extremismus ist jene Form des politischen Aktivismus gemeint,
die die den demokratischen Verfassungsstaat ablehnt, sei es mehr seine konstitutionelle
Komponente (z.B. das rechtsstaatliche Prinzip), sei es mehr das demokratische Element
(z.B. das Prinzip der menschlichen Fundamentalgleichheit). Der Extremismus ist gekennzeichnet
durch die Identitätstheorie der Demokratie, durch Freund-
5. Gesprächskreis, Podiumsdiskussion,
Prof. Dr. Jesse (2. von rechts)
Die Widerstände gegen die Übernahme des Extremismusbegriffs sind in der Bundesrepublik Deutschland – und nicht nur hier – zum Teil noch immer beträchtlich – in der Politik, in der Publizistik und in der (Politik)Wissenschaft. Damit werde einem juste milieu das Wort geredet. Manche befürchten von einem Vergleich der beiden Varianten eine Relativierung der menschenverachtenden Politik von rechtsaußen. Ein normativer Vergleich führe nicht zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern behindere sie. Kurioserweise sprechen vor allem jene von einem „Extremismus der Mitte“, die den Extremismusbegriff eigentlich ablehnen.
Wer am Begriff des Extremismus festhält, setzt dessen Formen nicht gleich. Ihm geht es allerdings um das Gefährdungspotential für den demokratischen Verfassungsstaat, gleich von welcher Seite es ausgeht. Vor allem soll nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Hat sich nach dem Kollaps des „realen Sozialismus“ der Begriff vom „antitotalitären Konsens“ weitgehend durchgesetzt, so gilt das nicht für den „antiextremistischen Konsens“. In dem einen Fall handelt es sich um ein vergangenes, in dem anderen um ein gegenwärtiges Phänomen.
Besonderes Aufsehen hat die NPD erregt. Sie steht bei den folgenden Ausführungen im Vordergrund. Was für eine Partei ist die NPD? Welcher Wandel hat sich bei ihr vollzogen? Wie soll sich die Parteiendemokratie mit dieser Organisation auseinandersetzen, aber nicht nur mit ihr?
In den letzten Jahren trat unter dem Parteivorsitzenden Udo Voigt eine Radikalisierung der NPD ein, nicht zuletzt durch den Zulauf von Mitgliedern verbotener Vereinigungen in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre. Damit öffnete die Partei sich sogleich Kräften des Neonationalsozialismus: Ihr neues strategisches Konzept stützt sich seit 1997 auf drei Säulen: „Wenn die NPD ihre Ziele in Deutschland erreichen will, muss sie – im übertragenen Clausewitzschen Sinne gesprochen – drei große Schlachten schlagen: die Schacht um die Köpfe, die Schlacht um die Straße, die Schlacht um die Wähler“. Mit der „Schlacht um die Köpfe“ ist die Programmatik gemeint, mit der „Schlacht um die Straße“ die Massenmobilisierung, mit der „Schlacht um die Wähler“ die Wahlteilnahme. „Keine von ihnen ist ohne die anderen sinnvoll oder auch nur möglich. Alle Mitglieder, insbesondere die Amtsträger der NPD sind aufgefordert, je nach eigenen Stärken und Schwächen den Schwerpunkt ihres Einsatzes innerhalb dieses Dreiecks zu wählen, das von drei Säulen aufgespannt wird, ohne jedoch eine einzelne Säule aus den Augen zu verlieren.“ So argumentiert die NPD.
Selbst ein beträchtlicher Teil der NPD-
Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Antiamerikanismus und vor allem Antikapitalismus bestimmen die Ideologie der NPD, deren Parteiprogramm allerdings vergleichsweise moderat formuliert ist. Die Idee der „Volksgemeinschaft“ nimmt bei ihr einen breiten Raum ein. Für die NPD spielt der Antikommunismus als Klammer – im Gegensatz zur Zeit vor 40 Jahren – nicht mehr die geringste Rolle.
Die NPD konnte durch ihre Radikalisierung zwar den Anteil ihrer Mitglieder innerhalb
weniger Jahre auf 6.000 verdoppeln, jedoch bei den Wahlen lange nicht reüssieren.
In den Neunzigerjahren schnitt die Partei am besten bei den sächsischen Landtagswahlen
1999 ab (1,4%). Nur noch ein weiteres Mal konnte sie in jenem Zeitraum die für die
Parteienfinanzierung wichtige Hürde von 1% erreichen (bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-
2004 sollte sich dies jedoch ändern. Während die NPD bei den Wahlen zur Hamburger
Bürgerschaft am 29. Februar 2004 mit 0,3% der Stimmen nicht vom Niedergang der Schill-
Welcher Umgang ist den demokratischen Parteien mit dem parteipolitischen Extremismus zu empfehlen? Ich stelle im folgenden Thesen zur Diskussion – vor allem, aber nicht nur, mit Blick auf die NPD.
Erstens: Wenn ein Drittel der ostdeutsche Bevölkerung bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg für radikale Parteien von links (PDS) und von rechts (NPD, DVU) gestimmt hat, so kann die Demokratie nicht zur Tagesordnung übergehen. Die demokratischen Volksparteien müssen gegen alle Formen des Extremismus Stellung beziehen. Nicht nur angesichts der schwierigen Verhältnisse wünschen sich die Bürger der neuen Bundesländer klare Konzepte, die den Weg aus der Krise weisen. Eine „Wählerbeschimpfung“ ist fehl am Platz. Sie treibt die Bürger erst recht in die Arme des Extremismus.
Zweitens. Die CDU-
Drittens: Die NPD ist zwar durch und durch antidemokratisch, aber gleichwohl demokratisch
gewählt. Geschäftsordnungstricks verbieten sich – aus prinzipiellen wie aus strategischen
Gründen. Das herkömmliche Gegenüber von Regierungs-
Viertens: Ein Verbotsantrag gegen die NPD ist weder nötig noch aussichtsreich. Nicht
aussichtsreich deshalb, weil die Gründe, die im Jahr 2003 zum Ende des Verfahrens
geführt haben (Existenz von V-
Fünftens: Moralische Empörung über die NPD ist wohlfeil, trägt jedoch wenig zu ihrer
Bekämpfung bei. Wer den Stimmenteil dieser Partei mindern will, muss sich in der
Sache der NPD und ihren Parolen auseinandersetzen. Man hat zwischen der antidemokratischen
NPD und ihren Wählern, die nicht rechtsextremistisch orientiert sein müssen, deutlich
zu unterscheiden. Die Motive, die Wähler zum NPD-
Sechstens: Wer wegen der NPD indirekt den antiextremistischen Konsens aufkündigt und eine Zusammenarbeit mit der PDS ins Auge fasst, erweist der parlamentarischen Demokratie einen Bärendienst. Die Tatsache, dass die PDS vehement gegen jede Form des Rechtsextremismus auftritt, macht sie noch nicht zu einer demokratischen Partei. „Autonome“, die gegen die Polizei vorgehen, weil sie den ordnungsgemäßen Ablauf einer Demonstration der NPD schützt, schwächen diese nicht, sondern stärken sie. Die parlamentarische Existenz der NPD hat die PDS aufgewertet. Sie profitiert von deren Erfolgen.
Siebtens: Die demokratischen Parteien dürfen ihre Versäumnisse nicht leugnen. Herausgefordert durch die Stimmgewinne von PDS und NPD müssen sie die Verantwortung auch bei sich suchen. Die Interessen des sogenannten „kleinen Mannes“ sind vernachlässigt worden. Wer heikle Themen tabuisiert, leistet extremistischen Parteien Vorschub. Insofern könnten Stimmengewinne für radikale Parteien auch ein Gesundbrunnen der Demokratie sein, wenn nicht immer nur der stereotype „Kampf gegen rechts“ angefacht wird.
Achtens: Die Grundgesetzkonzeption der streitbaren Demokratie bedarf der Bewahrung
und der Erinnerung. Die Adjektive „abwehrbereit“, „wachsam“, „wehrhaft“, „militant“
und „kämpferisch“ gelten mehr oder weniger als Synonym für „streitbar“. Der Dreiklang
von Wertegebundenheit, Abwehrbereitschaft und Vorverlagerung trägt zur Sicherheit
des demokratischen Verfassungsstaates bei. Das verbreitete Diktum „keine Freiheit
für die Feinde der Freiheit“ ist nicht geeignet zur Charakterisierung dieser Form
der Ordnung, denn auch „Feinden“ des demokratischen Prinzips stehen Rechte zu. Wer
gegen eine „Abgrenzung“ von der linken Position votiert, betrachtet mitunter eine
„Abgrenzung“ von rechten Auffassungen als Selbstverständlichkeit. Diese Verhaltensweise
ist ein Symptom von Doppelbödigkeit, das der Kritik bedarf. Die streitbare Demokratie
in ihrer geistig-
Aus diesen Thesen ergibt sich das folgende Fazit: Wer eine Bagatellisierung und Dramatisierung
des rechten wie des linken Extremismus gleichermaßen ablehnt, des nicht-